Am 30. März 2023 wurde in der Wittelsbacher Straße 33a in Berlin eine Gedenktafel für Ernst Toller enthüllt, der dort ab 1931 wohnte.
Unter Anwesenheit des damaligen Bürgermeisters und Senators für Kultur und Europa, Dr. Klaus Lederer, der einige Grußworte sprach, sowie von Vertreter*innen des Vereins Aktives Mueums Faschismus und Widerstand in Berlin, der sich für die Umsetzung des Berliner Gedenktafelprogramms engagiert und der GASAG AG, der langjährigen Hauptsponsorin des Programms, hat Helga Neumann vom Literaturarchiv der Akademie der Künste eine Laudatio gehalten, die wir im Folgenden wiedergeben dürfen.
Ein weiterführender Einblick in Tollers Berliner Jahre und Informationen zu seinen weiteren Wohnadressen in der Stadt wird im Schwalbenheft Nr. 6 (Herbst 2023) erscheinen.
Zur Enthüllung der BERLINER GEDENKTAFEL für Ernst Toller, Wittelsbacherstr. 33a, Berlin-Wilmersdorf, 30. März 2023
Helga Neumann, Literaturarchiv der Akademie der Künste, Berlin
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich freue mich sehr, hier sprechen zu dürfen, und ich danke allen, die dazu beigetragen haben, dass diese Gedenktafel heute enthüllt werden kann. Mein Name ist Helga Neumann, im Archiv der Akademie der Künste betreue ich die Ernst-Toller-Sammlung – dazu später mehr.
Wir stehen vor dem Haus Wittelsbacherstraße 33a. Das Berliner Adressbuch führt Ernst Toller, einen der wichtigsten Schriftsteller und Dramatiker der Weimarer Republik und wesentlichen Protagonisten der Berliner Kulturszene, bis 1933 unter dieser Adresse.[1]
Allzu häufig wird man ihn hier dennoch nicht gesehen haben. Seit seiner Entlassung aus der bayerischen Festungshaft Mitte Juli 1924 hatte er zwar seinen Wohnsitz in Berlin, aber er verbrachte viel Zeit auf Reisen. Als am 27. Februar 1933 der Reichstag brannte, war Toller für eine Reihe von Vorträgen in der Schweiz und entging so, zufällig, der Verhaftung.
„Ich habe eine ruhige Wohnung in Wilmersdorf, Wittelsbacherstr. 33a, die Euch zur Verfügung steht“, schrieb Toller am 10. Januar 1930 an einen Freund nach London.[2] Aber auch die ruhigste Lage hätte die innere Rastlosigkeit Tollers nicht ausgleichen können. 1914 war er, der damals in Frankreich studierte, als enthusiastischer deutscher Freiwilliger in den Krieg gezogen. Er überlebte, traumatisiert und desillusioniert. Er begann zu schreiben und sich politisch zu engagieren. Seine Beteiligung an der Münchner Räterepublik brachte ihm fünf Jahre Haft ein. Ein Angebot vorzeitiger Entlassung aufgrund seines literarischen Erfolgs schlug er aus, da er die individuelle Bevorzugung ablehnte. Während der Haftzeit war Toller nicht nur publizistisch tätig, sondern verfasste auch seine bekanntesten Stücke, u.a. „Der deutsche Hinkemann“, „Masse Mensch“, „Die Maschinenstürmer“. Dazu das „Schwalbenbuch“, einen Gedichtzyklus über ein Schwalbenpärchen, das in der Haftzelle sein Nest baute, zur Freude der Gefangenen und zum Ärger der Gefängnisverwaltung, die nicht eher ruhte, bis sie den Schwalben den Garaus gemacht hatte.
Die Uraufführungen von Tollers Stücken fanden während seiner Haftzeit natürlich ohne ihn statt. 1919 erläutert er für ein Programmheft der Hamburger Kammerspiele zu seinem Antikriegsstück „Die Wandlung“ seine Haltung:
„Voraussetzung des politischen Dichters (der stets irgendwie religiöser Dichter ist): ein Mensch, der sich verantwortlich fühlt für sich und für jeden Bruder menschheitlicher Gemeinschaft. Noch einmal: der sich verantwortlich fühlt.“[3]
Tollers Stücke, mehr noch seine Gedichte sind aus heutiger Sicht sehr vom expressionistischen Pathos ihrer Zeit geprägt. Seine 1933 in Amsterdam erschienene Autobiographie, ein sorgsam durchgearbeiteter, nüchterner Text, den Toller für eines seiner „besten Bücher“[4] hielt, berührt Fragen, die auch heute aktuell sind. Der 1893 in der Kleinstadt Samotschin, damals preußisch, heute polnisch Szamocin, geborene Toller beschreibt seine Jugend in kurzen, prägnanten Szenen, die in ihrer Knappheit an Kleists Anekdoten erinnern.
Ohne idyllische Verklärung, schonungslos sich selbst gegenüber stellt Toller dar, wie er sich als deutsches Kind den Polen überlegen fühlt, als Kind einer bürgerlichen Familie die Armut anderer wahrnimmt, wie er die Diskriminierung der jüdischen Familien, also auch seine eigene, erfährt, wie er einen kleinen Hund zu Tode quält – wie er Empathie, Solidarität nach und nach erwirbt. In diesem persönlichen Bildungsroman ist greifbar, wieviel Mühe es macht, erlernte Stereotype und Ressentiments loszuwerden.
So konkret und individuell Tollers höchst reflektierte und sprachlich zugespitzte Erinnerungen sind – er sieht sich immer auch exemplarisch, als Vertreter seiner Generation:
„Nicht nur meine Jugend ist hier aufgezeichnet, sondern die Jugend einer Generation und ein Stück Zeitgeschichte dazu.“[5]
Toller beschreibt, wie er nach der Rückkehr aus dem Krieg politische Orientierung sucht, sich schließlich der USPD unter Kurt Eisner anschließt und zum politischen Akteur wird. Einer anderen Partei wird er nie angehören, strenge Kaderdisziplin wäre seine Sache nicht. Er nahm in Kauf, dass er Mitgliedern der Kommunistischen Partei verdächtig war, und allen politisch rechten Parteien ohnehin. Dass ein Zweck, sei es der beste, die Mittel heilige, hätte er nicht unterschreiben können. Dabei ist er sich der Aporien politischen Handelns bewusst, wenn er rückblickend über seine Beteiligung an der Revolution 1918/19 festhält:
„Ich haßte Gewalt und hatte mir geschworen, Gewalt eher zu leiden als zu tun. Durfte ich jetzt, da die Revolution angegriffen war, diesen Schwur brechen? Ich mußte es tun. Die Arbeiter hatten mir Vertrauen geschenkt, hatten mir Führung und Verantwortung übertragen. Täuschte ich nicht ihr Vertrauen, wenn ich mich jetzt weigerte, sie zu verteidigen, oder gar sie aufrief, der Gewalt zu entsagen? Ich hätte die Möglichkeit blutiger Folgen vorher bedenken müssen und kein Amt annehmen dürfen.
Wer heute auf der Ebene der Politik, im Miteinander ökonomischer und menschlicher Interessen, kämpfen will, muß klar wissen, daß Gesetz und Folgen seines Kampfes von anderen Mächten bestimmt werden als seinen guten Absichten, daß ihm oft Art der Wehr und Gegenwehr aufgezwungen werden, die er als tragisch empfinden muß, an denen er, im tiefen Sinn des Wortes, verbluten kann.“[6]
Toller kämpfte dennoch weiter, die Flucht ins Private kam nicht in Frage. Er engagierte sich, um nur einige Beispiele zu nennen, wie auch Carl von Ossietzky oder Kurt Tucholsky, für die Deutsche Liga für Menschenrechte. 1927 nahm er in Brüssel am Kongress der Liga gegen koloniale Unterdrückung teil, den er kurz vor seiner Abreise in einem Brief als „eines der bedeutsamsten historischen Ereignisse moderner Geschichte“ bezeichnete.[7]
Er war im PEN-Club aktiv, sprach bei Tagungen in Warschau, Budapest, Dubrovnik (im Mai 1933!), in London. Er kümmerte sich im englischen Exil um Carl von Ossietzky‘s Tochter, er hielt die Erinnerung an den 1934 im KZ Oranienburg ermordeten Erich Mühsam wach.
Im letzten überlieferten und datierten Brief Tollers geht es am 13. Mai 1939 um Unterstützung für den Schriftsteller Walter Mehring, der sich in „grösstem Elend“ befinde.[8] Das letzte Theaterstück Tollers, sein Drama „Pastor Hall“, in dem die Schicksale Martin Niemöllers und Carl von Ossietzkys anklingen, wurde erst posthum gedruckt und aufgeführt. Sein letztes großes Projekt war eine Spendensammlung für die notleidende Zivilbevölkerung Spaniens, nach den Eindrücken, die er von einer Reise zu den Schauplätzen des spanischen Bürgerkriegs gewonnen hatte. Mit dem Sieg Francos im Frühjahr 1939 scheiterte diese Hilfsaktion.
Tollers rastlose Tätigkeit zehrte seine Kräfte auf, die politische Weltlage sowie seine eigene, private, boten wenig Anlass zu Optimismus, niemals gelang es ihm, Widersprüche auch seiner eigenen Existenz auszublenden. Am 22. Mai 1939 setzte er, Sie wissen es, in New York seinem Leben selbst ein Ende.
Es ist gut, dass wir nun hier in Berlin einen Gedenkort für Ernst Toller haben. Sein Werk ist nicht vergessen, es liegt, sorgfältig ediert und kommentiert, in einer großen Ausgabe vor. Was es nicht gibt – und jetzt komme ich zurück zum Archiv – ist ein geschlossener literarischer Nachlass, das Ernst-Toller-Archiv. Tollers Manuskripte, sofern überhaupt erhalten, sind über viele Orte verstreut. Briefe finden sich in Nachlässen der Adressaten. Im Akademiearchiv bewahren wir eine kleine Sammlung zu Ernst Toller,[9] und in etlichen Beständen unseres Hauses, etwa in den Nachlässen von Carl Hauptmann, Herbert Ihering, Alfred Kerr oder George Grosz befinden sich Briefe von Toller und Manuskripte, die er verschickt hat. Darüber hinaus besitzen wir reichlich Materialien zu den Aufführungen seiner Stücke.
Toller gehört nicht zu den Autoren und Autorinnen, deren Texte man nur noch aus historischem Interesse lesen möchte. Sein unbedingtes Eintreten für Freiheit und Gerechtigkeit ist heute ebenso aktuell wie sein Nachdenken über die Folgen seines eigenen Handelns im Zwiespalt zwischen Ideal und Realpolitik.
Das letzte Wort soll an dieser Stelle Ernst Toller selbst haben, der am 10. November 1933 im PEN-Club London in wenigen Sätzen nicht nur die Beweggründe seines Schreibens, sondern auch das utopische Moment von Literatur und Kunst formuliert:
„Ich kenne nur zu gut die Verzweiflung des Dichters, der in solcher Zeit und in solcher Welt lebend, fragt: Was hat meine Arbeit für einen Sinn? Wozu Gedichte schreiben, wozu Romane, wozu Dramen? Wer will von ihnen wissen? Für die Herrschenden hat ein Tank, ein neues Giftgas tausendmal höheren Wert als ein großes Kunstwerk. Aber wer so spricht, spricht kurzsichtig, Tatsachen triumphieren eine kurze Zeit, am Ende sind sie ohnmächtig vor der Gewalt der Idee. Jedes Unrecht, das irgendwo in der Welt geschieht, geht uns an.“[10]
[1] Die Berliner Adressbücher sind online einsehbar: https://digital.zlb.de/viewer/berliner-adressbuecher/, abgerufen am 3.4.2023. Zu Ernst Toller Biographie generell: Richard Dove: Ernst Toller. Ein Leben in Deutschland. Deutsch von Marcel Hartges. Göttingen: Steidl, 1993.
[2] Ernst Toller an Ivor Montagu, 30.1.1930. Ernst Toller: Briefe 1915 – 1939, Band 1, hg. von Stefan Neuhaus, Gerhard Scholz, Irene Zanol u.a. Göttingen: Wallstein, 2018, S. 849.
[3] Ernst Toller: Bemerkungen zu meinem Drama „Die Wandlung“. Ernst Toller: Publizistik und Reden, Band 1, hg. von Martin Gerstenbräun, Michael Pilz, Gerhard Scholz und Irene Zanol. Göttingen: Wallstein, 2015 (Sämtliche Werke, 4.1), S. 451.
[4] Ernst Toller an Hermann Kesten, 1.7.1933. Ernst Toller: Briefe 1915 – 1939, Band 2, hg. von hg. von Stefan Neuhaus, Gerhard Scholz, Irene Zanol u.a. Göttingen: Wallstein, 2018, S. 952.
[5] Ernst Toller: Eine Jugend in Deutschland. Vorwort „Blick 1933“. Ernst Toller, Autobiographisches und Justizkritik, hg. von Stefan Neuhaus und Rolf Selbmann. Göttingen: Wallstein, 2015 (Sämtliche Werke, 3), S. 101.
[6] Ebenda, S. 202.
[7] Ernst Toller an Ivor Montagu, 8.2.1927. Ernst Toller: Briefe 1915 – 1939, Band 1, hg. von Stefan Neuhaus, Gerhard Scholz, Irene Zanol u.a. Göttingen: Wallstein, 2018, S. 570.
[8] Ernst Toller an Hubertus Prinz zu Löwenstein, 13.5.1939. Ernst Toller: Briefe 1915 – 1939, Band 2, hg. von hg. von Stefan Neuhaus, Gerhard Scholz, Irene Zanol u.a. Göttingen: Wallstein, 2018, S. 1585.
[9] Ernst-Toller-Sammlung im Archiv der Akademie der Künste: https://archiv.adk.de/bigobjekt/18097
[10] Ernst Toller: Rede im Pen-Club [in London]. Ernst Toller: Publizistik und Reden, Band 1, hg. von Martin Gerstenbräun, Michael Pilz, Gerhard Scholz und Irene Zanol. Göttingen: Wallstein, 2015 (Sämtliche Werke, 4.1), S.332-336, hier S. 335.