Interview mit dem Dramatiker Richard Byrne über sein Stück Three Suitcases, über Ernst Toller und das Verhältnis von Literatur und Politik
Von Irene Zanol
Richard Byrne ist ein Schriftsteller und Journalist, der u. a. Time, The Nation, The New Republic und den Guardian geschrieben hat. Sein neues Stück, Three Suitcases, handelt von zwei Begegnungen zwischen Ernst Toller, seiner Sekretärin Ilse Klapper und deren Mann, dem später zu Weltruhm gelangten Beatnik William S. Burroughs in Tollers Zimmer im Mayflower Hotel 1939. Es erzählt uns von Flüchtlingen und Exilanten, von wachsendem Faschismus und den Versuchen, die Geschichte auszulöschen und neu zu schreiben.
Was fasziniert Sie an Toller? Hat sich Ihr Blick auf Toller beim Schreiben des Stückes verändert?
Richard Byrne: Ernst Toller stand im Mittelpunkt seiner Generation – als Soldat, als Politiker, als Schriftsteller und als Aktivist. Er war dazu berufen, an der Welt Anteil zu nehmen. Toller war auch ein bemerkenswert komplexer Mensch. Seine Fehler und blinden Flecken waren verwoben mit einer außergewöhnlichen Empathie, Großzügigkeit und einem Blick für das große Ganze. Er war ein Denker und ein Macher. Es war aufschlussreich, die Reaktionen der Menschen auf Tollers Stärken und Schwächen zu durchforsten. Mein Bild von ihm hat sich oft geändert. Am Ende bin ich aber immer wieder zu seiner grundsätzlichen menschlichen Größe zurückgekommen: Sein tiefes Mitgefühl mit dem Leid und Schmerz des menschlichen Daseins – und sein Wunsch, es spürbar zu lindern. Anderen das Böse aufzuzeigen und sie zu verpflichten, dagegen zu handeln.
Welchem Charakter haben Sie sich am schnellsten angenähert, bei welchem fiel es Ihnen am schwersten, sich in die Figur hineinzudenken?
Richard Byrne: Bei Toller fühlte ich mich zunächst auf sicherem Boden. Er war eine öffentliche Person. Es gab zahlreiche Erinnerungen an ihn, einschließlich des Stückes von Christopher Isherwood, aus dem ich ein Detail entnommen und zum Titel meines Theaterstückes gemacht habe. Ilse war schwierig, aber gab mir auch ein Gefühl der Freiheit, an ihrer Figur zu arbeiten und sie aus den Fragmenten, die ich zusammentragen konnte, zu formen. Burroughs war bei weitem die schwierigste Figur. Wir wissen sehr viel über den Burroughs ab 1942 oder 1943. Aber was für ein Mensch war er 1939? Aus dieser Zeit sind wenige Briefe überliefert, auch nur wenige Berichte, von seinen eigenen abgesehen. Man kann ein wenig rekonstruieren, wann er wo war, aber auch das nicht exakt. Es war eine Herausforderung, eine Sprache für den jungen William Burroughs zu finden, aber das musste ich, denn zum Zeitpunkt des Stückes kann er nicht der Burroughs der Beat Generation sein. Er war unstet. Unentschlossen. Dabei, in Zwielichtigkeit, Drogen und Kleinkriminalität abzugleiten. Als ich das Stück beendete und mich mit Tollers Suizid beschäftigte, fand ich ihn viel schwerer zu fassen als zu Beginn meiner Arbeit. Sein Selbstmord ist erklärbar und dennoch geheimnisvoll. Warum in diesem Moment? War es ein Hilfeschrei? Ein Unfall? Er hinterließ keinen Abschiedsbrief, wie etwa Stefan Zweig. Es ist kein Rätsel und doch ist es in vielerlei Hinsicht rätselhaft.
Ernst Toller und William Burroughs sind bekannte Persönlichkeiten. Über Ilse Klapper-Burroughs weiß man nicht sehr viel. Wie sind Sie ihr auf die Spur gekommen?
Richard Byrne: Die Suche nach Informationen über Ilse stand im Mittelpunkt meiner Bemühungen. Am Beginn standen folgende Quellen: (a) einige Dokumente der US-Regierung, die ihre Reisen und ihr Bestreben, ein Visum zu erhalten, detailliert dokumentieren; (b) Burroughs spärliche Bemerkungen über sie; (c) ein auf Deutsch verfasster Erinnerungstext einer Verwandten. Also versuchte ich, die Lücken auf andere Weise zu füllen. Zum Beispiel ging ich in New York von der Adresse, an der sie nach ihrer Ankunft 1939 wohnte, zum Standort des (inzwischen abgerissenen) Mayflower Hotels, um einen Eindruck von ihrem Weg zur Arbeit zu bekommen. Ich forschte über das Schiff, mit dem sie in den Vereinigten Staaten eintraf, die SS Vulcania, und über ihr Leben in Dubrovnik Ende der 1930er Jahre. Ich nahm diese Versatzstücke an Informationen und machte mir auf dieser Grundlage ein Bild von ihrem Charakter: gerissen, tough, sachlich und selbst von den zwielichtigsten Elementen der Menschheit völlig unbeeindruckt. Eine Frau aus der Weimarer Republik. Dank der Korrespondenz und Zusammenarbeit mit einem Wissenschaftler der Universität Wien, Thomas Antonic, habe ich seit den ersten drei öffentlichen Lesungen aus dem Stück viel mehr über Ilses Leben, ihre Familie und ihre Einstellung zu Tollers Selbstmord erfahren. Als Dramatiker bin ich froh, dass keine dieser Informationen das Bild, das ich von ihr in Three Suitcases gezeichnet habe, wesentlich verändert hat. In einigen Fällen verstärkt es sich. Und andere neue Informationen können in spätere Fassungen eingearbeitet werden.
Was macht die Beziehung der drei Personen zueinander so interessant?
Richard Byrne: Zwischen diesen drei Figuren gibt es so viele Dynamiken zu erforschen. Wer ist diese starke und kluge Frau zwischen zwei Männern (einem berühmten und einem zum Ruhm bestimmten)? Da ist die Dynamik der verschiedenen Generationen, die kulturellen Unterschiede zwischen Europa und Amerika und eine Dynamik, in der Ilse ein bisschen so etwas wie ein Gegenmittel zu den intellektuellen Ambitionen der beiden Männer darstellt. Das Wichtigste ist aber, dass Toller und Burroughs grundverschiedene Ansichten über den Zusammenhang von Kunst und Politik vertreten.
Wie denken Sie über den Bühnenautor Toller? Gibt es da etwas für sie Vorbildhaftes oder sind es andere Aspekte seines Tuns, die Sie eher faszinieren?
Richard Byrne: Toller wird als Dramatiker unterschätzt. Im englischsprachigen Raum hat man seinem Werk insbesondere durch die manierierten Übersetzungen der 1920er und 1930er Jahre geschadet. Es ist gut, dass dieses Problem von einer Reihe von Übersetzerinnen und Übersetzern angegangen wird, und es ist naheliegend, dass es hier noch mehr Verbesserungen geben wird, weil Tollers Werk in den Vereinigten Staaten zunehmend auf Interesse stößt. Man könnte eine lange Diskussion über die moderne britische und amerikanische Theaterwelt in Bezug auf Toller führen und sich fragen, warum seine Stücke heute nicht öfter aufgeführt werden. Denn Tollers expressionistische Werke – von Die Wandlung bis Hoppa, wir leben! – sind außergewöhnlich wirkungsvoll. Die größten Hindernisse sind die Übersetzungen, sowie ihr Umfang und Format. Die meisten der Stücke erfordern für heutige Verhältnisse große Ensembles. Tollers spätere Werke erscheinen mir prosaischer, von der politischen Dringlichkeit des Augenblicks diktiert. Weniger poetisch. Als Dramatiker ist Toller am besten, wenn er die Kraft der Dichtung nützt.
In der Wissenschaft wird oft darauf beharrt, den Schriftsteller und den Politiker Toller zu trennen. Wie sehen Sie das?
Richard Byrne: Ich denke, eine solche Trennung ist völlig unmöglich. Man kann vielleicht Tollers aktive politische Karriere einiger Monate von seiner schriftstellerischen trennen. Diese hat eingesetzt, nachdem er für seine politische Karriere inhaftiert worden war. Aber Politik ist die Lebensader in Tollers Werk. Wie Menschen regiert werden, die Mechanismen der Unterdrückung, die Hunger, Elend, Verzweiflung und moralische und geistige Verarmung erzeugen. Toller sah in der Politik den Schlüssel für Veränderung. Einerseits in der Revolution, aber auch im Aktivismus. Er versuchte die Menschen dadurch zu Bewusstsein und zum Handeln zu bringen.
Ihr Stück dreht sich letztlich um eine zentrale Frage: Kann ein/e Schriftsteller/in die Welt mit Worten verändern? Welche Antwort geben Sie in Three Suitcases?
Richard Byrne: Ich hoffe, dass diese Frage mit jeder Zeile des Stückes gestellt wird. Toller hat versucht, die Welt mit Worten zu verändern. Mit den Worten seiner Kunst und seines Engagements. Ist ihm das gelungen? Man kann argumentieren, dass er in vielerlei Hinsicht gescheitert ist. Und doch rüttelte seine Rede auf dem PEN-Kongress 1933 auf und rief eine umfassende künstlerische Opposition gegen den Faschismus hervor, die in den 1930er Jahren Wurzeln schlug und Früchte trug. Er stand auf, als andere Kunstschaffende es nicht konnten oder wollten. (Zum Teil dank H. G. Wells). Burroughs hingegen glaubte, dass wir die Welt nicht mit Worten verändern können. Menschen können in Worten und in Kunst Sinn finden, aber sie können damit nicht die Welt verändern, oder gar die Gesellschaft, die dem Untergang geweiht ist, verbessern. Man kann seine eigene Welt gestalten. Überleben. Die inviduelle Perspektive behalten. Kleine Gemeinschaften von Gleichgesinnten bilden. Aber Burroughs und die anderen Beats (genauer gesagt eine kleine Gemeinschaft Gleichgesinnter) haben die Welt mit ihren Worten in einer Art und Weise verändert, wie sie es nie vorhersehen hätten können. Im Mittelpunkt des Stückes steht ein weiterer Gedanke: Vielleicht liegt der Erfolg Ernst Tollers nicht einzig in seinen Leistungen, sondern in seinem nachhaltigen Beispiel. Unerschrocken zu sprechen. Nach dem Besseren zu streben. Immer. Wir brauchen nicht immer einen Ernst Toller. Aber in diesem Moment können wir so viel von ihm lernen. Und das müssen wir. Deshalb erzählen wir die Geschichte wieder, damit sie in Erinnerung bleibt.
Für die Hilfe bei der Übersetzung ins Deutsche danke ich Maria Piok und Christiane Schönfeld.
Irene Zanol, April 2020.